Im Laufe eines Lebens passieren etliche Dinge, die den menschlichen Körper fordern oder gar in Extremsituationen bringen. Meist hinterlassen Ausnahmezustände wie Schwangerschaften, Erkrankungen oder hormonelle Umstellungen kaum Spuren - was ein Mensch in der Vergangenheit durchgemacht hat, sieht man ihm selten an. Doch ganz im Verborgenen gibt es einen unscheinbaren Chronisten, der wichtige persönliche Ereignisse aufzeichnet: das Wurzelzement.
Wurzel- oder auch Zahnzement umgibt und schützt das Dentin in der Zahnwurzel. Es ist Teil des Zahnhalteapparats und sorgt für eine sichere Verbindung zwischen Kieferknochen und Zahn. Beständig bilden sich neue Zellen in dieser dünnen Gewebsschicht, die ungefähr zur Hälfte aus harter mineralischer Substanz mit Calcium und Fluor besteht. Den übrigen Anteil machen organische Moleküle wie Kollagen oder Proteoglykane aus.
Jahresringe verraten Ereignisse
Ein Forscherteam der New York University hat sich jetzt dieses wenig erforschte Gewebe genau angeschaut und nicht schlecht gestaunt: Wie die Jahresringe eines Baumstammes verraten auch die Zellschichten des Wurzelzements, wann eine Person mit erheblichen Stressphasen und Umstellungen zu kämpfen hatte.
Die Doktorandin Paola Cerrito vom Institut für Anthropologie und ihre Kollegen untersuchten die Gebisse von 15 verstorbenen Zentralafrikanern, deren Lebensgeschichte sie weitestgehend kannten. 47 Zähne wurden in dünne Scheiben geschnitten und mit verschiedenen Mikroskopiertechniken betrachtet. Es zeigten sich vielfältige Mikrostrukturen, die sich gut einzelnen Veränderungen im Lebenswandel der Testpersonen zuordnen ließen.
Wurzelzement archiviert Biographie
Von der frühen Zahnentwicklung bis zum Tod speichern Zähne demnach sämtliche Ereignisdaten eines Individuums. Das können hormonelle Einflüsse durch Pubertät, Schwangerschaft oder Menopause sein. Aber auch Gefängnisaufenthalte, Mangelernährung, Nierenerkrankungen oder einen Umzug vom Land in die Stadt konnten die Wissenschaftler an ungewöhnlich veränderten Jahresringen erkennen.
Überraschend war zudem, dass die Arbeitsgruppe nicht nur Stressphasen und Wendepunkte ablesen, sondern auch mit einer hohen Trefferquote das zugehörige Lebensalter benennen konnte. Die Forscher hoffen, dass ihre Entdeckung auch bei archäologischen Funden offene Fragen klären könnte. Leider ist jedoch derzeit nicht möglich zuzuordnen, welches Lebensereignis eine Veränderung in einer Wurzelzementschicht verursacht hat.