Die Mikrobiom-Forschung ist sicher eine der vielversprechendsten Forschungszweige der modernen Medizin. Immer mehr wird darüber bekannt, wie wichtig ein gut ausbalanciertes Zusammenleben von Kleinstlebewesen in und auf dem menschlichen Körper für sein Wohlbefinden ist. Etliche Arten haben sich auf eine kooperierende Existenz mit dem Menschen eingestellt. Sie profitieren von unseren biologischen Eigenheiten, finden ein geeignetes Milieu für Wachstum und Fortpflanzung.
Im Gegenzug für diese "Gastfreundschaft" helfen viele Mikroorganismen bei der Verdauung einiger Nahrungsbestandteile oder übernehmen andere wichtige Funktionen. Doch falsche Ernährung oder belastende Umwelteinflüsse können das Gleichgewicht der zahlreichen Arten ins Wanken bringen, man spricht von einer Dysbiose. Dabei fallen unter anderem schädliche Stoffwechselprodukte in großen Mengen an und beeinträchtigen menschliche Gewebe und Organe, der Mensch erkrankt.
Während findige Unternehmer bereits mit einigen "guten" Bakterienarten neue Therapieoptionen auf den Markt bringen, gibt es eine Gruppe unter den Kleinstlebewesen, die bislang wenig untersucht ist: Die Pilze. Mehr als 100.000 Arten sind mittlerweile beschrieben worden, Experten schätzen jedoch, dass mehrere Millionen noch unentdeckt sind.
Als Begleiter des Menschen scheinen sie auf den ersten Blick nur eine untergeordnete Rolle zu spielen. Im Vergleich zur bakteriellen Besiedlung macht das so genannte Mykobiom nur etwas mehr als ein halbes Promille im Speichel aus, im Zahnplaque kommt sogar nur etwa ein Pilz auf eine Million Bakterien. Zudem ist es für Forscher nur schwer zu beurteilen, welche Pilze lediglich auf der "Durchreise" sind, weil sie beispielsweise mit der Nahrung in der Mundhöhle gelandet sind. Hat es somit überhaupt Sinn, sich in der Zahnmedizin intensiver mit Pilzen zu befassen?
Freund, Feind oder stiller Begleiter
Einige prominente Vertreter des Reichs der Pilze lassen erahnen, dass es nicht klug wäre, an deren Relevanz zu zweifeln. Der Hefepilz Candida albicans ist ein Paradebeispiel für eine Spezies, die weit verbreitet ist, aber gelegentlich für gesundheitlichen Ärger sorgt. Etwa 100.000 Menschen erkranken pro Jahr an einer Candidose, auch als Mundsoor bekannt. Bei immungeschwächten Personen kann der Pilz sich auf der Zunge ungehemmt vermehren, es entsteht ein weißer pelziger Belag, der auch auf den Rachen überspringen kann. Bei älteren unbehandelten Menschen können diese entzündeten Bereiche schmerzhaft sein und führen so häufig zu einer Mangelernährung. Mit verschiedenen Medikamenten kann der Pilz gut bekämpft werden, doch in der Kategorie "harmlos" sollte er damit nicht landen.
Mehrere Studien zeigen, dass C. albicans noch in ganz anderen Zusammenhängen auftaucht. Patienten mit einem Plattenepithelkarzinom beispielsweise wiesen ein erhöhtes Vorkommen dieser Hefepilzart im betroffenen Gewebe auf. Zudem war das Spektrum anderer Pilzarten weniger divers. Eine Dysbiose war ebenfalls für das bakterielle Mikrobiom zu erkennen, was im Tumorgewebe für ein stark entzündliches Milieu sorgte. C. albicans ist in der Lage, Alkohol zu krebserregendem Acetaldehyd zu verstoffwechseln oder ebenso schädliche Nitrosamine auszuscheiden. Ob der Pilz ursächlich für die Entstehung von Tumoren sein kann oder lediglich die veränderten Bedingungen besonders effektiv ausnutzt, ist aktuell nicht zu beantworten.
Nicht nur die Mundschleimhaut ist möglicherweise durch C. albicans gefährdet - auch der Zahnhalteapparat könnte durch die Aktivitäten des Pilzes Schaden nehmen. Mehrere Untersuchungen weisen darauf hin, dass vor allem im Kollektiv mit unterschiedlichen Bakterienarten unliebsame Allianzen entstehen. Zum einen produziert der Pilz klebrige Moleküle, die ein Anheften an Schleimhäuten ermöglicht und die Bildung von Biofilmen fördert. Zum anderen kann Candida sowohl in sauerstoffreicher als auch sauerstoffarmer Umgebung gut existieren und bietet somit anaeroben Keimen eine willkommene Abschirmung gegen ein lebensfeindliches Milieu.
Forscher haben gezeigt, dass ein aggressiver Erreger der Parodontitis, Porphyromonas gingivalis, unterhalb des Zahnfleischsaums mit C. albicans vergesellschaftet auftreten kann. Bislang wird das gemeinsame Auftreten der Arten zwar als Korrelation beschrieben, handfeste Beweise für eine Synergie fehlen jedoch weiterhin.
Auffällige Candida-Besiedlung bei kariösen Zähnen
Auch bei der Volkskrankheit Karies haben Wissenschaftler die Anwesenheit von C. albicans überprüft. Bei einer Gruppe von Kindern wiesen sie ein erhöhtes Vorkommen des Hefepilzes nach, wenn starke kariöse Schäden (Early childhood caries) vorlagen. Offensichtlich ist C. albicans entweder Förderer oder Profiteur der Erkrankung.
Ein irgendwie geartetes Zusammenspiel zwischen dem Karies-Hauptverursacher Streptococcus mutans, aber auch anderen Erregern wie Actinomyces spp. oder Prevotella spp. ist naheliegend. Genetische Analysen anderer Wissenschaftler haben gezeigt, dass C. albicans Signalstoffe produziert, die die Kariogenität von S. mutans erhöhen.
Die Kommunikation zwischen Bakterien und Pilz scheint einem durchaus fein abgestimmten Regelkreis zu dienen: S. mutans kann auch Hemmstoffe produzieren, die eine orale Candidose in Schach halten. Überraschend ist zudem, dass in den Karies-freien Gebissen der Kinder ein anderer Pilz dominierte. Der Hefepilz Malassezia globosa könnte eine Schutzwirkung vor den Zahnschäden bieten, dessen genauer Mechanismus aber noch unbekannt ist. Eine Wachstumshemmung auf konkurrierende Pilze liegt wohl nicht vor, einzelne Studien belegen jedoch ein antibakterielles Potential. Auch wenn M. globosa hier scheinbar ein willkommener Kommensale sein könnte, sorgt er andernorts für weniger schöne Befunde. So weisen infizierte Patienten Flecken in der oberen Hautschicht auf, die meist heller als die Umgebung sind.
Die gute Seite von C. albicans
Eine simple Einteilung in "gute Pilze - schlechte Pilze" ist also offensichtlich kaum sinnvoll. Auch C. albicans ist bei den vielen bekannten Krankheitsbildern nicht ausschließlich ein Vertreter der "bad guys", der mit allen Mitteln bekämpft werden müsste. Als Darmbewohner trainiert er bestimmte Zellen des Immunsystems, darüber hinaus kann er giftige Schwermetalle binden und deren schädigende Wirkung für viele Körperzellen verhindern.
Das Zusammenleben mit Pilzen ist weit mehr als ein kurioses Phänomen. Gelegentlich mit antifungalen Cremes regulatorisch einzugreifen, mag bislang noch die einzige Vorgehensweise sein, wie den anpassungsfähigen Geschöpfen begegnet wird. In der Zukunft könnten Mediziner und Zahnärzte bei zahlreichen pathologischen Befunden in der Mundhöhle vielleicht anders reagieren. Dann könnte die Bekämpfung oder die Förderung bestimmter Pilzarten ein kraftvoller Hebel für Heilungsprozesse sein.
Letztendlich ist auch heute schon das Beheben einer vorliegenden Dysbiose das wichtigste Therapieziel: wenn also sämtliche Störfaktoren beseitigt werden, die das Ökosystem aller Mikroorganismen aus dem Gleichgewicht gebracht haben. Nur in einem fein austarierten System kann die Eskalation destruktiver Prozesse gestoppt werden.
Wie in vielen anderen Lebensbereichen auch, steht hier statt Symptombekämpfung die Ursachenbekämpfung im Vordergrund. Das Vermeiden von Umweltgiften, Fehlernährung und Stress führt zu nachhaltigeren Erfolgen als der Einsatz von Fungiziden und Antibiotika.